schwarz und weiss

Von | 7. März 2015

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voraus bemerkt: es geht uns gut, die gedanken, die ich jetzt niederschreibe, sind spekulativ. ausgelöst durch einen film, den ich gestern sah.

ich stelle mir vor: ich sei mutterseelenallein auf der welt. nach meinem tod bliebe nichts von mir als vielleicht ein paar heitere, ein paar weniger nette erinnerungen, große oder kleine trauer eine zeitlang, von menschen, die mich überlebt haben. die urne mit der asche und all mein kram, mein chaos, mit dingen, die für mich eine bedeutung haben, für fremde augen aber wohl nicht. ich stelle mir vor, wie der entrümpler kommt. der mann ist profi, also wird ihn nichts wirklich erschüttern. er wird sortieren: dieses bringt vielleicht noch was, jenes  kommt gleich auf die kippe. punkt. ich stelle mir vor: meine fotos, meine bilder und objekte – dahin – in den container. seltsam das zu denken.  die schachtel mit meinen blonden kinderlocken. die schachtel mit den vielen feinen handschuhen, die meine schwiegermutter noch trug. meine leichen im keller. die bücher die musik. meine stifte farben pinsel. vielleicht gibt es ein paar freunde, geschwister, neffennichten die noch dinge mitnehmen, die sie erfreuen, das wäre schön. aber sonst – fort damit. nun frage ich mich, ob ich das schrecklich finde oder ganz natürlich. ich neige zu: ganz natürlich. und wohl auch: es wär‘ gut so. aber nun gibt es hier auch nicht so einen überwältigenden ausufernden schatz zu heben wie:

– schnitt –

ich sehe einen jungen mann. er kniet vor stapeln von kisten, koffern, kartons. er öffnet, er stöbert, er breitet aus: kleider, bunten gesammelten kram, briefe, quittungen, ein ganzes leben liegt da auf dem fußboden wie eine kunstinstallation. und fotos, unmengen von fotos. die geschichte dahinter: eine kiste mit fotos hat er ersteigert – ohne zu wissen, was sich darin befand. er packt aus, fasziniert, schließlich fieberhaft, ergriffen von dem, was er zu sehen bekommt. er macht sich auf die suche nach mehr, findet schließlich durch eine quittung ein lagerhaus. die betreiber wollen gerade den raum entrümpeln, in dem all die kisten, kasten, koffer lagern. rechnung nicht bezahlt. der junge mann mit namen John Maloof kann die dinge vor dem container retten. er beginnt zu forschen, findet menschen, die die besitzerin gekannt haben. Vivian Maier. zu dem zeitpunkt, als er ihre dinge entdeckt und an sich nimmt, muss sie noch gelebt haben, das ergibt die recherche. erfahren hat sie das alles nicht mehr, auch nicht ihren späten ruhm. John Maloof sorgt dafür, dass ihre fotos ausgestellt werden, verkauft abzüge, um die dokumentarische arbeit weiter zu bringen, bilder scannen zu lassen, bilder entwickeln zu lassen. denn er allein kann die fülle nicht bändigen. manch einer macht ihm zum vorwurf, das leben von Vivian Maier zum eigenen nutzen auszubeuten. manch einer fragt sich, ob es nötig ist, ihr leben so akribisch vor uns auszubreiten. interviews mit arbeitgebern (sie hat viel als kindermädchen gearbeitet), mit inzwischen erwachsenen kindern zeichnen ein widersprüchliches, vielleicht gerade deshalb so faszinierendes bild der person Vivian Maier. der frau hinter dem fotoapparat. wie war sie? wer war sie? alles bleibt bruchstückhaft.

bin ich eine schlüssellochguckerin, weil ich mir diesen film (Finding Vivian Maier http://www.kino.de/kinofilm/finding-vivian-maier/153032) interessiert und gebannt angeschaut habe? macht man das? zerrt man einen augenscheinlich sehr scheuen zurückgezogenen menschen posthum ins rampenlicht? denn es sind ja nicht nur ihre fotos, die uns vor augen geführt werden. ihr wesen, ihre marotten, ihre klamotten; ihr leben wird durchleuchtet von zeugen, die nicht unparteiisch sind und das auch nicht sein können. ein wenig ratlos bleibe ich zurück – aber auch sehr angerührt und aufgestört. gut, wenn das ein film kann – auch wenn sich viele fragen auftun.

6 Gedanken zu „schwarz und weiss

  1. Quer

    Schwierig, schwierig. Aber auch irgendwie verständlich und faszinierend, zumal die Fotos ja künstlerisch wertvoll sind.
    Tja, ich glaube darauf gibt es einfach keine schlüssige Antwort.
    Darf man das, darf man das nicht? Schwierig, schwierig! (Und wie traurig, dass sie es nicht mehr selber entscheiden konnte.)

    Liebe Grüsse zu dir in dieses schöne Wochenende,
    Brigitte

  2. sylvia

    ja – merkwürdig zwiespältig ists…
    danke – und gut nacht…
    Sylvia

  3. Dietmar Becker

    kann/darf/soll man solche Überlegungen anstellen, die über den eigenen Tod hinausgreifen und sich hineintasten, wohl auch hineinverirren in anderes Leben?
    Ich glaube, solche Überlegungen bestätigen, es geht gut, Mut und Neugier sind hellwach, die Lust an Exkursionen und spontanen Abstechern ist manchmal kaum zu bremsen – das alles hat zu tun mit dem spekulativen Durchgang durch den eigenen Tod und dem Hineinspüren in ein vielleicht wildfremdes Leben – oder nicht?
    Dietmar

  4. sylvia

    doch, lieber Dietmar, ich denke schon, dass das so ist. danke für deine worte!
    Sylvia

  5. wildgans

    Was werden sie behalten, was in den großen Container werfen, dass die alten Knochen krachen…meine ganzen Bücher werden entsetzt das Fliegen lernen und das Verbrennen- mal gucken, was ich vorher schon ver-entsorgen kann. Nur, wann ist der richtige Zeitpunkt? Jetzt, gleich und immerdar? Die Vergangenheit soll nicht so an mir zerren…! Leider habe ich diesen Film nicht gesehen.

  6. sylvia

    na gut, dass wirs nicht wissen… paar sachen schenkt man eh immer schon mal her, aber es kommt ja auch immer wieder was dazu, hm.hm. nuja. so isses;-))).
    viele grüße
    Sylvia

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