der tag

Von | 9. November 2009

berlin

jedes jahr gabs ein treffen in ostberlin,
jeweils fünf tage lang.
fast konspirativ, sagten sie. offiziell
dürfe es nicht bekannt werden. jeden
tag bahnhof friedrichstrasse, die eiter-
gelben wände, der gestank nach
desinfektionsmittel und schiss. jeden
tag eintritt zahlen, jeden tag das
knurrige machense ma ihr linkes ohr
frei. einmal hatte ich zeugs dabei,
das nicht genehm war. leibesvisitation.
warten in einem engen stinkenden raum.
erleichterung nach stunden. noch mal glimpflich.
im herbstnebel über’n alex. neben
mir mein chef, der seine subversiven
schriften mit dem unterhosengummi
vor seinen bauch geklemmt hatte.
braunkohlegeruch, blumenstände
mit zerrupften astern.
abends musste man unbedingt bis 24.00 uhr
durch den tränenpalast durch sein. die
kumpels mussten draussen bleiben.
jeden abend ein tschüss, bis morgen!
im westen gaben wir uns dann die kante, in ‚ner
kneipe ohne schliesszeit mit geilen
ollen kamellen in der musicbox, elvis, stones
und blue spanish eyes. den kater
trugen wir am nächsten morgen
nach osten. die kollegen sahen auch
nicht besser aus.
am 2. Oktober 90 trafen wir uns wie
jedes jahr. tagten brav. gegen mitter-
nacht gingen wir los, bahnhof friedrich-
strasse, das erste „tschüss, bis morgen“
war raus, ehe man nachdenken konnte.
wir grinsten. ey, kommt doch
mit! die ganze nacht waren wir dann
im westen unterwegs, soffen in den
schrabbeligsten kneipen, gröhlten
die doofsten schlager und arbeiteten
zum ersten mal gemeinsam am erwerb
eines gigantischen katers…

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