ICE3

Von | 12. Februar 2006

ICE Hannover-Hamm

Seelze, der Kanal,
staubiges Grün
die beiden rostbraunen Bögen der Brücke
öde Parkplätze
Kiefern, struppige Schöpfe
Trauerfarben der Natur
und staubiges Grau
Industriegelände
verwaiste Dörfer
der rote bewegte Balken einer S-Bahn
linealgerade Straßen
der Kanal wieder
schmutziggrün
hinter mir zwei Berliner, die über die Marktwirtschaft diskutieren
und über Theaterfestivals
und über die Mühen, mit Rollstuhl zu reisen
das rechnet sich nicht
meine Haut riecht unausgeschlafen
und die ersten Tropfen rollen über die Scheibe
ich sitze mit dem Rücken zur Fahrtrichtung
uns sehe den langgestreckten Höhenzug des Deisters
Kopfweiden die sich in die Gräben ducken
die Sehnsucht nach der Farbe Rot
feuerrot klatschmohnrot
ein Tag für Depressionen
Hundehürden
kurz vor Bückeburg
und eine rundgebaute Kirche
und Sehnsucht nach der Farbe grün
quietschgrün laubfroschgrün maigrün
von mir aus auch neongrün
elefantenbeingrau der Acker
welches Feuer
schickt den Rauch in die Luft
und über die Felder
die Kopfweiden neigen sich
kein Licht in den Häusern
die Strommasten
die Masten der Signale
ein Birkenwäldchen
Minden Westfalen
halb zwölf schon
Handygepiepe Geschwätz
eine Mühle hält überkreuz ihre Windbalken in die Wolken
Rodenberg Türe Tore
geschwätz
können die nicht ihre Klappe halten
die Weser und der Kaiser auf dem Berg
was mache ich hier?
ich möchte nach Hause ins Bett.
meine Nase läuft
mit dem Regen um die Wette.
wenn ich mal mit Siegfried rede, was meinst du,
wer tritt über die Ufer,
breit und naß, die Weser
und die Straßen glänzen schwarz
welcher Bus befördert Schulkinder ins Jenseits
glitschige Straßen Einkaufszentren
leuchtende Lampen in den Läden
Bad Oeynhausen
eine Frau läuft geduckt am Bahndamm
ihrem Hund hinterher
der an der Leine zerrt
sonst kein Zeichen
von Leben draußen.
und die Einfamilienhäuschen und die Protzhütten
das nasse Flachdach eines gewerblichen Gebäudes
und dazwischen die grauweißen Huckel der Lichtschächte
Fichten und Tannen
schwarz an die Böschung getackert
der Zug stöhnt wie Wind
ein Flüßchen und eine Fabrik
gelbe Kräne
und ein nasser leerer Parkplatz
ein Hühnerstall mit Leiter
überschwemmte Wiesen
ich will in einem von diesen kuscheligen Bauernhäusern sitzen
am Ofen und der Opa spinnt sein Garn
stattdessen sehe ich
zerplatzte Scheiben an verlassenen Gebäuden
sterile Wohnanlagen mit Flachdächern
auf den Balkons hängen Plastikpullover zum Lüften
der Mief von schmutzigen Körpern und Kneipe soll raus
freudlose Zimmer zerschabte Sitzecken und Preßspanmöbel
geparkte Wagen
der Besuch abscheulicher Verwandter
Onkel Paul im Unterhemd auf dem wackligen Hocker
hustet seinen Qualm in die Wohnküche
der legt sich auf die Kunststoffbezüge
der Eckbank, schmutzigrot und abgeschabt
aber das träume ich nur
während der Zug weiterfährt
Richtung Westen
wo die Sonne verstaubt
und die Landschaft
mir vor den Augen
zerfließt
weil es vom Himmel
weint

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