ich kann keine…

Von | 7. September 2017

„in der dunkelheit des unwissens“ möchte der kurator der documenta14 die besucherinnen und besucher herumtappen lassen. ganz auf dich gestellt sollst du dir deinen weg durch diese dschungel bahnen. dennoch bist du auf schritt und tritt umgeben von bilderklärern, männlichen, weiblichen. das große rhabarbern rauscht rings um dich her, erklär, erklär. wenn man mich denn nur ließe, allein. lass mich, ich kann alleine, sagt das kind, schwingt sich auf in die nächste installation, schaukelt auf dem roten wollflausch durch den saal ins indigoblau. aber das ist natürlich verboten. ich habe geschaut, gestaunt, mich gefreut, mich vieles gefragt, gelästert, mich geärgert. seit über einer woche wieder daheim- und noch immer verwirrt.

mit blindenbinde, schwarzen augengläsern und weissem stock war einst Timm Ulrichs unterwegs, um den hals ein schild: „ich kann keine kunst mehr sehen“. passt zu mir, im augenblick. und sie ist so schön vieldeutig, diese äußerung. ist alles kunst, was (vom wem?) dazu erklärt wird? was soll kunst? – soll sie was? was will kunst? – will sie was? was erwarte ich? – darf ich irgendwas erwarten?

was (im moment) übrig ist: der eindruck, dass alles zu viel ist. zu viele ausstellungsorte. zu viele exponate. zu viel neben-, über-, hinter-, unter-, durcheinander. kunstblähung. kunstverstopfung. dunkelheit des unwissens. eine solch aufgeblähte megaschau wird weder den kunstwerken gerecht – noch dem menschlichen fassungsvermögen.

ich kann keine… muss ich auch nicht. bin auch nur ein mensch.

aber da war auch: die freude am durchwandern der stadt, an der gemeinschaft mit der freundin, an unerwarteten entdeckungen (graffiti, knallblaue liegestühle, kleine gelbe blätter auf basaltsteinen, dazwischen eine weisse feder, ein wunderbarer buchladen, die sensationellen preisunterschiede beim kauf einer flasche wasser, die freundlichkeit der männer in der kleinen schraddeligen wasserpfeifenoase eines vorstadtdönerladens, das kleine ruhige hotel zwischen hohen bäumen ganz oben am waldrand, das mit dem leckeren frühstück (danke Rosadora, für den tipp!) – und und und. auch all das bleibt. und das ist schön.

was noch da ist: eine schüchterne, frisch erwachte neugier. wieder mehr kunst betrachten, auch andere, seltsame; abseits der klassischen, vertrauten werke, arbeitsweisen, techniken.  aber piano. in homöopathischen dosen. mal schauen. wenn die augen wieder blank sind.

8 Gedanken zu „ich kann keine…

  1. Quer

    So ein Überangebot, wo man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, ist vielleicht manchmal nicht schlecht, um wieder zur Einfachheit und zum Wesentlichen zu finden.
    Danke für die feinen Eindrücke und Querhinweise, liebe Sylvia.
    Einen schönen Tag wünscht dir
    Brigitte

  2. Hausfrau Hanna

    So,
    liebe Sylvia,
    wäre es mir wohl auch ergangen!
    Mir sind und werden die Eindrücke an Ausstellungen/Events/Führungen oft ganz schnell zu viel.
    Und ich werde dann müde und erschöpft…

    Du sagst es! Die Augen müssen wieder blank werden 🙂
    Meine sind blank genug und bewundern das obere blaue Bild:
    Das würde ich s o f o r t aufhängen!

    Lieben Gruss aus Basel
    Hausfrau Hanna

  3. Sylvia Beitragsautor

    liebe Hausfrau Hanna – das blaue bild – das gibt es eigentlich gar nicht. besser gesagt, es gab es – für einen kurzen augen-blick. meine freundin betrachtet einen film, dieses betrachten spiegelt sich in einer sehr dunkel schraffierten zeichnung an der wand gegenüber… ja, jetzt wo sich alles ein wenig setzt, kommen diese aha-augen-blicke zurück…
    herzliche grüße nach Basel!
    Sylvia

  4. Sylvia Beitragsautor

    das, liebe Brigitte, merke ich auch gerade. weniger ist mehr – und auf das einfache will ich mich wieder konzentrieren. es gab aber doch viele kostbare momente – und fragen, denen ich nachgehen will.
    herzliche grüße zu dir!
    Sylvia

  5. Sylvia Beitragsautor

    Sonja schreibt:
    Menschenskinder, ist das nicht, wie richtig was geleistet haben?
    Cool, das mit dem Kunstblindwerden – und beinahe ist mir, als hätte ich mich dort auf den Boden geworfen und mit Beinen und Armen gewackelt, oder wäre eine Wand hochgerannt und dabei „Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt´s auch im Blut“ gesungen. Richtig laut. Das dann natürlich für Kunscht erklärt!

  6. Sylvia Beitragsautor

    es war halt ein leichter overkill… schau bei Rosadora, sie entlockt der documenta14 ihre perlen;-)))…
    lieber gruß
    Sylvia

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