kunstvitrine

Von | 22. September 2021

die vitrine ist neu bestückt. mit älteren und neuen schilden aus unterschiedlichen papieren. diesmal hängen sie und sie bewegen sich leicht, sie drehen sich, als wollten sie all ihre seiten zeigen.

ein wenig seltsam ist die stimmung dort. manchmal hört man die bahnen unten grummeln. heute schrie ein mann eine gruppe jugendlicher an. es schien der lehrer zu sein, keine ahnung, was sie verbrochen hatten. dann ein lautes krachen ganz unten im tunnel hin und wieder. huschende leute, kaum jemand warf mal einen blick. eine junge frau mit rastazöpfen ging vorüber und lächelte mich an. ein grauhaariger mann schaute grimmig. sonst rannten alle vorüber, blick aufs display.

seltsam froh bin ich. vielleicht habe ich gerade eine neue präsentationsform entdeckt. dann werde ich mich um die „rückseiten“ der schilde kümmern müssen. wenn sie nicht an der wand hängen wie üblich, sondern im raum verteilt von oben herunter, werden sie tatsächlich um und um betrachtet werden können.

länger habe ich mich darum herumgedrückt, eine halbe woche lang stand die vitrine leer. nun nicht mehr, wie schön!

hier ein text über meine arbeiten mit papier, schon älter, aber vielleicht ganz informativ:

Mein Material ist das Papier – in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen. Ich schöpfe es nicht selbst, sondern nutze industriell hergestellte Papiere, auch solche, die schon durch den Schredder gegangen sind – alles Mögliche, was mir unter die Hände kommt und interessant erscheint. Wenn ich im Atelier bin, habe ich meist keinen bestimmten Plan. Es ist ein eher intuitives Arbeiten. Was ich aber beobachten kann ist, dass in meinen Arbeiten immer wieder das Motiv „Schild“ auftaucht. Zunächst auf dem Papier, nun entwickelt sich diese Form immer mehr ins Dreidimensionale – wird zum Objekt.

Schild – Schutzschild – etwas, hinter/unter dem man sich verbirgt, das Angriffe abwehren und vor ihnen schützen soll – aus dünnen Seiden- und anderen Papieren gefertigt – ein Paradoxon. Eine scheinbar schützende Haut, die aber in hohem Maße verletzlich ist, das Bergende ist eine Illusion. Hier ergibt sich für mich eine Verwandtschaft zum Thema Haus. In einer Ausstellung zu diesem Thema waren die Schilde schon einmal zu sehen. Haus: auch ein scheinbar sicherer Hort, my home is my castle, Rückzugsort, Versteck, Ort zum Kraft schöpfen, starke Wände, die schützen. Wie trügerisch kann auch hier die Sicherheit sein – jemand/etwas kann eindringen, Wände werden porös, bröckeln, das Bergende kann stürzen.

Mich interessiert das Ausloten der Bedingungen, die einen solchen visuellen Kippmoment zustande bringen können, das Changieren zwischen Stabilität und Fragilität.

Sylvia Hagenbach

17 Gedanken zu „kunstvitrine

  1. Monika Reinfurt

    … ich hätte gern hingeschaut, wenn die schilde aufgetaucht wären auf meinem weg. gute gedanken auch zum schild-thema. ich lese immer wieder gern mit hier. lg

  2. Sylvia Beitragsautor

    das finde ich ganz wunderbar, danke!
    lieber gruß
    Sylvia

  3. mona lisa

    Wunderbar zarte und dann auch noch schwebende (Schutz-)Schilder. Ich würde mir das rote aussuchen.
    Danke für die Einblicke in deine Arbeiten u. deine Arbeitsweise
    Herzliche Abendgrüße

  4. Roswitha

    diese schilde sind vielfältig, verlockend und wunderbar bunt gestaltet- ich hätte gerne hingeschaut. ich stelle mir gerade ein leichtes zittern eines schildes vor, leicht dreht es sich, und die rückseite ist fast leer. aber daneben sind die anderen, und meine augen ruhen kurz, um erneut ein wunder zu sehen. eine schöne vitrine an einem alltäglichen weg, schade um die blicke aufs display. aber es gab ja ein lächeln…
    herzlich, roswitha

  5. Quer

    Die Vitrine mit den Schilden, die lose hängen, sieht toll aus und die Objekte wirken im Kontext miteinander besonders stark! Ein Farbfeuerwerk, das Ganze.
    Ich bin begeistert und habe auch deine Erläuterungen dazu mit Interesse gelesen.
    Danke und herzlichen Gruss,
    Brigitte

  6. rosadora

    ob schilde, ob häuser – sicherheit und fragilität
    das thema ist überall
    mein zusammenbruch und wiederaufbau
    ruine und neubau
    deine schilde sind erforderlich für vieles
    aufgehängt, angeklebt – hinzugedacht
    du machst das gut – das mit dem übergang
    rosadora

  7. Sylvia Beitragsautor

    @mona lisa
    sehr gern geschehen! die erneute arbeit
    damit hat mich sehr erfrischt und
    aufgeweckt;-)…
    einen feinen tag wünsch ich dir
    Sylvia

  8. Sylvia Beitragsautor

    @Roswitha
    ich danke dir sehr, das hast du sehr
    gut nachempfunden, sie zitterten wirklich
    etwas anfänglich, dann begannen sie sich
    leicht zu drehen… vielen dank für die
    zarte „Schilderung“.
    lieber gruß
    Sylvia

  9. Sylvia Beitragsautor

    @Quer
    liebe Brigitte, das freut mich, dass sie
    dich ansprechen und das Wort „Farbfeuerwerk“
    mag ich ganz besonders. du hast recht, in diesem
    zusammenhang wirken sie besonders stark. mehr
    als vereinzelt oder als gruppe an der wand.
    vielen dank und liebe grüße
    Sylvia

  10. Sylvia Beitragsautor

    @rosadora
    ja, da hast du sicher recht, zusammenbruch
    und wiederaufbau, aus den trümmern kann
    neues entstehen… hier war es ja auch so
    ähnlich, ich machte weiter mit den schilden,
    aber irgendwie verwirrt, wusste nicht recht.
    nun seh ich einen neuen weg…
    lieber gruß
    Sylvia

  11. Hausfrau Hanna

    Kunst im öffentlichen Raum,
    liebe Sylvia,
    ist spannend, weil sie alle teilhaben lässt.
    Vielleicht werden Gespräche angeregt.
    Ein Dialog entsteht zwischen den sich leise bewegenden Schilden und den Vorbeigehenden.

    Danke für deinen anregenden Beitrag!
    Herzlich aus Basel (wo soeben die ART ihre Tore geöffnet hat)
    Hausfrau Hanna

  12. Sylvia Beitragsautor

    ja, vielleicht unterhalten sie sich miteinander:-).
    es wäre ja zu schön. vielleicht sollte ich ein
    aufnahmegerätinstallieren, dann könnte
    man heimlich lauschen…
    liebe grüße zum Rheinknie
    Sylvia

  13. seelenruhig

    Ich mag dieses Format sehr gerne! Der Schaukasten, an dem Leute vorbeigehen (hoffentlich nicht nur welche, die vorbeihasten). Und die Blätter im Schwebezustand finde ich auch toll – man will wirklich dahinter blicken!
    liebe Grüße und danke fürs Zeigen

  14. Sylvia Beitragsautor

    liebe Ellen, wie schön, dich wieder hier
    zu lesen! und deine gedanken zur vitrine
    mag ich sehr, ich danke dir!
    liebe grüße
    Sylvia

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