noch einmal zum advent

Von | 8. Dezember 2019

Der dunkle König öffnete die 15. Tür.

In hohen Haufen lag lila Lametta auf dem Parkett des Festsaals. An den Wänden entlang stapelten sich Kästen mit Kugeln, die wie jedes Jahr den riesigen Christbaum schmücken sollten. Dieses Jahr waren auch sie in der Farbe lila gehalten, was den dunklen König schaudern ließ. Diener und Dienstmädchen waren eifrig dabei, alles auszubreiten und zu sichten, was für die prachtvolle Feier des Weihnachtsfestes benötigt wurde.

Lametta, Kugeln, Kerzen, funkelnde flirrende Girlanden und glitzernde Figürchen für den Baum – poliertes Silber, Porzellan und Glas für die festliche Tafel – nichts sollte fehlen, kein angeschlagenes oder im Lauf der Jahre matt gewordenes Teil die Augen beleidigen.

In der Küche brodelte und dampfte es, Köchinnen und Köche rannten mit hochroten Gesichtern umher, rüttelten an Pfannen, zogen Backbleche mit duftenden Sternen und Herzen aus den Öfen, die großen Speisekammern füllten sich unaufhaltsam. Die Küchenjungen stolperten und polterten nur so übereinander, sie purzelten durch die Gänge und die Stiegen hinauf und hinunter, im Keller stand der Mundschenk im Rausch zwischen seinen Fässern und probierte wieder und wieder die Weine, einszweidrei und noch einmal, die zum großen Mahl gereicht werden sollten.

Nur noch neun Tage, nur noch neun Tage, nur noch neun Tage – der Rhythmus dieser Worte schien der Motor zu sein, der die Maschine immer schneller vorantrieb. Fahrzeuge trafen ein, überladen mit Päckchen, Taschen, Paketen, die durch eine Luke in den Verpackungssaal befördert wurden, wo sie sofort von Männern und Frauen mit geschickten Fingern als Geschenke verpackt wurden. Hohe bunte Türme wuchsen und wuchsen, fast bis unter die Decke.

In finsteren Ecken saßen die Katzen geduckt mit peitschenden Schwänzen und gesträubtem Fell. Die Hunde hechelten und jaulten, der alte Dobermann lag mit geschlossenen Augen, die Pfoten über den Ohren, mit gewellter Stirn unter dem Tisch im Pförtnerhäuschen.

Der dunkle König schaute dem Treiben lange zu. Dann wandte er sich ab, ging in sein Gemach und setzte sich auf sein Himmelbett. Advent, sagte er, ich habe dich seit langem vermisst. Advent, sagte er, wann endlich kommst du wieder in mein Leben? So lange warte ich schon, Advent, wann kommst du? Wo bist du geblieben? Warum versteckst du dich vor mir?

Der dunkle König seufzte, stand auf und stieg hinab in den Schlosskeller, hinweg über Girlanden und Kugeln aus vergangenen Zeiten in gold, in rot, in türkis und in pink, in silber, in neongrün und in blau. Unter seinen Schritten knirschte es, es war ihm gleich, das Knirschen ließ das Kreischen und Stampfen der Maschine etwas gedämpfter klingen. Er kam in die finstersten Winkel des Kellers, tastete sich vorsichtig weiter. Rumms! Da lag er dennoch. Er war über einen Stock gestolpert. Der König fluchte leise, rieb sich das Knie, stand auf und schaute ihn an. Seltsam. Sah aus wie das Ding, das der Schäfer immer bei sich hatte. Und dieser Haufen da? Er stocherte ein wenig mit dem Stock. Es schepperte, eine kleine Laterne war umgefallen. Er hob sie auf, rieb das Glas mit seinem Ärmel sauber und sah erstaunt, dass sie leuchtete. Hatte sie etwa die ganze Zeit hier unten geleuchtet, ungesehen, unbemerkt? Er hielt sie hoch.

Ein paar Schaffelle, ein Stern an einem langen Stab, ein paar alte Kleider und Hüte, ein dickes zerfleddertes Buch mit Eselsohren – das war alles. Und ein bisschen Stroh, schon ganz grau vom Staub. Der König ging weiter, die kleine Laterne erhoben. Es war sehr still hier in diesem Teil des Schlosses. Ein leichter Luftzug brachte einen Duft herbei von nächtlichen Wiesen und Heu. Weiter, immer weiter ins Dunkel hinein zog es den König bis zur dicken Mauer und einer Tür, die weit geöffnet war. Der König blieb an der Schwelle stehen und schaute. Da breitete sich das Land vor ihm, ganz dunkel war es. Das Licht der Laterne flackerte, als ein großer Mensch auftauchte und rief: „Hallo? Ist da jemand?“ Der König hustete. „Komm mit!“ sagte der Große. „Aber mach die Laterne aus.“ Der König blies das Licht aus und folgte dem Mann, seltsam, ganz ohne Angst. „Komm,“ sagte der Mann, setz dich zu uns.

„Ach, du bist es, Schäfer!“ rief der dunkle König. „Ich habe deinen Stock gefunden!“ „Pssst!“ zischte der Schäfer. „Setz dich hin und hör zu.“ Der König setzte sich. Niemand sprach. „Wem soll ich denn zuhören?“ „Psssst! Sei einfach still.“ Und der König hielt inne. Er legte die Hände auf die Knie und war still. Da hörte er es:

den Wind, der die Disteln zum Singen brachte, das leise Schnauben und Kauen der Schafe, das leise Böh! und das Mäh! wenn eines träumte, das Kollern im Bauch des Schäfers, das Knurren seines eigenen Magens. Er saß und schaute in die Dunkelheit. Und irgendwann in dieser Nacht, als es am dunkelsten war, stieg ein heller Stern aus der Wiese. „Ach!“ sagte der dunkle König. „Da bist du ja!“

6 Gedanken zu „noch einmal zum advent

  1. Mona Lisa

    Ja nur in der Stille kann man lauschen und hören was ist.
    Und Sterne sieht man auch nur in tiefster Dunkelheit so richtig leuchten 😉
    Stille Morgengrüße in die dritte Adventswoche.

  2. Hausfrau Hanna

    Eine Geschichte,
    liebe Sylvia,
    (eine Saga auf Schwedisch), die vollkommen ist:
    Danke!

    Und einen herzlichen Gruss zu dir
    Hausfrau Hanna

  3. Quer

    Liebe Sylvia

    Das ist eines der schönsten und zauberhaftesten Weihnachtsmärchen, die ich je gelesen habe. Und wenn es aus deiner Feder stammt, möchte ich dich beglückwünschen. Ja, so stelle ich mir Weihnachten auch vor, leise, unscheinbar und anrührend.
    Der König tat gut daran, danach zu suchen!!!

    Mit herzlichen Adventsgrüssen,
    Brigitte

  4. Sylvia Beitragsautor

    genau so ist es. viele vergessen es leider…
    dir einen schönen adventsabend!
    lieber gruß
    Sylvia

  5. Sylvia Beitragsautor

    ich danke DIR:-). es freut mich sehr!
    einen schönen feierabendgruß sende ich zu dir…

  6. Sylvia Beitragsautor

    oh danke, Brigitte! ja, sie stammt aus meiner feder, ist zwar schon älter,
    aber mir passte sie gerade so gut. viele rennen so unbändig umher und
    alles blinkt und blendet und schrillt – mir tut einfaches, stilles, jetzt
    gut. und wenn man bedenkt, dass der advent eigentlich ne stille zeit sein soll…
    danke nochmals und liebe grüße
    Sylvia

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