RE Hannover-Hessisch Oldendorf

Von | 12. Februar 2006

Regionalexpreß Hannover – Hessisch Oldendorf
(Fahren – Bleiben – Fahren)

Da trödelt er raus aufs Land
und es ist grün in der Welt
von den Abteilwänden
fallen halbzerkaute Wortbrocken
nörgelnder Halbstarker
zerplatzen zu Brei
unverdaulich
spucken
möchte ich
dem Geplärr ein Ende machen
mutwillig Dinge zerstören
will ich
wenn ich das höre
da vorn rechts
die Trauerhalle
die Grabrede
für eine Frau
die nicht wußte
wie sie leben soll
ob sie leben darf
wie sie will
ob sie will
die sich das Leben
nicht getraut hat
in den Schnaps gefallen
der Himmel ein Ereignis
in grau-blauen Türmen
Weidenkätzchen Forsythien
ein Umspannwerk
zwei Angler in grünen Hosen
liegen an der Böschung
und baden ihre Würmer
der Postbote steigt aus
er hat einen dreckigen Ärmel
als hätte ihn sein Amtsroß
abgeworfen
und in den Rinnstein geschüttelt
im Kleingarten weht weiß
der türkische Halbmond
auf rotem Grund
eine schöne Störung
des ewigen schwarzrotgold
Kiesförderbänder ragen hoch
küssen beiläufig
der Marienburg den Fuß
Nordstemmen
eine Domäne
einsam an einer Allee
nächster Halt Elze
umsteigen
zwei alte Leute
reden laut
aber jetzt, wo ich weiß
daß es Rita war,
erst packt sie sich die Torte ein
dann ist sie so hexig beim Abschied
nicht mal bedankt hat sie sich
nicht mal bedankt hat sie sich
ungezogen
vielleicht hat sie
Geld erwartet
tut mir leid für dich
eine rostige Pflugschar
ein blauer Bauwagen mit Bienenstöcken
der feine grüne Schimmer an den Zweigen
Osterglocken im Grau
Freizeitpark Rasti-Land
und weißte, so die Rita,
wie du es manchmal gesagt hast,
ich hab ja für die Rita am meisten gearbeitet
aber die Gretel ist schuld
da hätt ja die Gretel mal was sagen müssen
vielleicht gefällt es ihr ja auch gar nicht
aber die Goldkette
wo sind wir hier eigentlich
keine Ahnung
noch drei Stationen
da hat sie zweimal
in deren Abwesenheit
stand ja immer alles offen
und trotzdem haben die dann
noch die Schokolade
und nen Zwanzigmarkschein
der weißrote Windsack prall gefüllt
im Stellenwärterhäuschen
eine dicke Frau in Dunkelblau
eine Hauswand in Fetzen
hier war ich noch nie
vom Efeu gewürgte Bäume
liegen tot neben dem Gleis
in Hameln blüht rosa ein Strauch
und gackernde Mädchen
wie Gänse
und alte Männer
mit braunen Cordhüten
steigen ein
Hameln
schon oft da gewesen
auf der Durchreise
auch manchmal über Nacht sogar
einmal mit dem Rattenfänger
Brötchen gegessen frühmorgens
zwei lauernde Katzen
schwarzweiß auf dem Garagendach
jetzt ist das Gleis
eingeklemmt
zwischen Fußballfeldern
und Eigenheimsiedlungen
bald müßte ich da sein
wo ich nicht hin will

II. Hessisch-Oldendorf

Der Friedhof
sagt die alte Frau
der Friedhof oje
da müssen Sie
ganz raus aus der Stadt
da müssen Sie
die lange Straße
ganz runter
und über die Kreuzung
und noch
und den Berg rauf
ja wenn Sie gut zu Fuß sind
ja wenn Sie schnell sind
dauerrot die Ampel
das Harmonium
hör ich schon
draußen
hier
möchte ich bleiben
im Hellen
im Vogelchor
aus Hecken und Büschen
unmöglich
später gehen wir
hinter dem schwarzen Karren
mit den abgesplitterten Kanten
mit dem Sarg aus Buchenholz
über Kies
abgetretene Hacken
Steinstaub
weiter den Berg rauf
bis an den Himmel
bis es nicht mehr weitergeht
bis zu dem Loch
zwei Meter tief
und vier graue Männer
mit Hüten
und Jacken
zerschlissen
und schimmernd
vor Alter
lassen es runter
das Kind
Osterglocken und Forsythien
Goldrausch und Vogelgeschwirr
und ich sehe
die junge Mutter weinen
und weine
und ziehe den Kragen
fester an den Hals
und ducke mich
vor dem Wind der
in groben Stößen
plötzlich
über die Anhöhe fährt
und sehe
Windräder sich in der Ebene drehen
und sehe
Hände in die Erde greifen
und die Erde nehmen
und die Erde loslassen
die Erde loslassen
Rosen fallen hinein
und Tränen
und Angst
und ich gehe
blind
den Berg hinab
zum Bahnhof
hinunter

III. Reginalexpreß Hessisch-Oldendorf – Hannover

Provinzbahnhof
Schienen warten
auf Erweckung
im gläsernen Wetterhäuschen
Sonne trinken
Düsenjäger plötzlich
schrill in den Wolken
der rothaarige Stoffel
neben mir
tuschelt
mit seiner Freundin
die im Handy sitzt
am Berghang da drüben
sonnt sich die Sonne
breit
in rötlichem Astgeflecht
im Zug
kichern die Mädels
und kreischen
bei der Nennung von Namen
Mario kreisch
Michael kreisch
Martin kreisch
in den einsamen Tälern
gehen Leute spazieren
und Typen
in olivgrün
joggen am Bahndamm entlang
Schweißflecke im Hemd
ein Gartenzwerg
ein Gockel und hellbraune Hühner
in der Neubausiedlung
steht auf einer Terrasse
ein leerer Kinderwagen
eine Krähe hinkt
Berg und Tal
über den holprigen Acker
Die Zugestiegenen bitte
sonst war sehr schön
Spaß gemacht der Urlaub
Weihnachtsmarkt ist schön da
ja auch
das sieht alles prima aus
das haben sie gut hingekriegt
ein Feld voller Halme
in einem seltsamen
Knochenweiß
bis morgen
in alter Frische
von Erde bist du genommen
zu Erde sollst du werden
wieso ist Liebe Erde
und wieso ist Mutterbauch Erde
die zerfetzte Hauswand wieder
im Gebüsch knutschen zwei Jungs
eine häßliche Kirche
ein Sonnenfleck
auf dem Scheunendach
und neben mir
ein schnarchender Malocher
der seine Halben
ausschwitzt
Feierabend
Endstation
Nacht

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