Erster Schnee

Von | 11. März 2006

Eines Morgens ist es noch dunkel, dennoch hat sich eine vage Helligkeit über das Zimmer gebreitet. Eine plötzliche Ahnung treibt das Kind aus dem Bett. Barfuss läuft es zum Fenster, zieht die Gardine fort. Der Ausblick ist versperrt, Das Kind kratzt, schabt kalten weißen Staub, schneidet feine Rillen, senkrecht, waagrecht, kreuz und quer. Haucht. Schiebt. Schiebt die kleinen Eisvierecke auf der Scheibe hin und her. Der Blick nach draußen wird frei, da ist sie, die stille weiße Welt, lang ersehnt. Das Kind läuft hinaus, steht da und schaut. Leichter Wind, Flocken treiben, im Schein der Straßenlaterne taumeln sie, tanzen sie, jagen sie ungestüm die Straße hinab ins Dunkle. Das Kind streckt die Hände aus, hält sein Gesicht in den Wind, sammelt sterne, die bald auf der warmen Haut zergehen. Es läuft los, nimmt den Weg um das Haus herum in den Hinterhof, knarrende knarzende Schritte, stiebendes weißes Pulver. Auf dem Hof hängen blasse Gespenster, vergessene Wäsche. Kalt und bleich pendeln die Laken, der Wind treibt die erstarrten Häute gegeneinander. Das Kind schleicht heran, quer über die weiße Rasenfläche. Mit dem Finger gegen die Laken tippen, tapp-tapp, immer wieder, die Gespenster zum Schwingen bringen, zum Krachen und Rascheln und Wispern. Die Starre brechen, ein Stück ums andere knicken, mit sandfeinem Knistern dünne Linien durch das Gewebe schicken.

Später hängen die Gespenster schlapp von der Leine; froh huscht das Kind davon, ein dunkler beweglicher verschwindender Strich im Weiß.

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